Internationale Poetry-Biennale  -  Filmfestival  -  Salon  -  Netzwerk

Sonntag, 6. November, 15 Uhr

 


Volha Hapeyeva
(Belarus)

Festival Focus Writers in Exile - PEN Germany

Geboren in Minsk, Belarus, Lyrikerin, Autorin, Übersetzerin und promovierte Linguistin. Sie ist Autorin von 14 Büchern auf Belarussisch, ihre Gedichte wurden in mehr als 15 Sprachen übertragen.

Auf Deutsch erschienen der Lyrikband Mutantengarten, Edition Thanhäuser 2020, der Roman Camel-Travel, Droschl Verlag 2021 und das Essay Die Verteidigung der Poesie in Zeiten dauernden Exils, Verbrecher Verlag 2022.

2021-2022 war sie Stipendiatin des PEN-Zentrums Deutschland und 2022 auch DAAD Artists-in-Berlin Fellow. Zu ihren zahlreichen Preisen und Auszeichnungen gehört zuletzt der Wortmeldungen-Literaturpreis 2022.

hapeyeva.org

Born in Minsk, Belarus, poet, author, translator and PhD linguist. She is the author of 14 books in Belarusian, her poems have been translated into more than 15 languages.

Her poetry book Mutantengarten, Edition Thanhäuser 2020, the novel Camel-Travel, Droschl Verlag 2021 and the essay The Defense of Poetry in Times of Permanent Exile, Verbrecher Verlag 2022 were published in German language.

In 2021-2022 she was a fellow of the PEN Center Germany and in 2022 also a DAAD Artists-in-Berlin Fellow. Her numerous prizes and awards most recently include the 2022 Literary Award.

hapeyeva.org

Foto Juergen Schabel/VillaConcordia

 

халоднае ківі ем на сняданак
колькі дзён да зімы

сябры ўжо бачылі снег
я ж плятуся ў хвасце
у мяне лістапад

багоўка на падваконні
завальваецца на правы бок

засынае
ці недзе адбіла лапку

узгадаць пра сябе
пагадзіўшыся на зазямленне

поле што нідзе не сканчаецца
мусіць займець межы

я – адсюль і дасюль
далей чужыя землі

мо так лепей
і меней стомы
ад уласнай бясконцасці

я паўзу па падваконні
з адбітай лапкай
ляжу на талерцы халодным ківі
я снег што ніяк не прыйдзе
я бязмежнае поле
я колькі дзён да зімы

ich esse kalte kiwi zum frühstück
einige tage vor winteranbruch

freunde haben schon schnee gesehen
ich hänge noch hinterher
bei mir herrscht noch herbst

ein marienkäfer auf der fensterbank
kippt nach rechts auf die seite

macht winterschlaf
oder hat sich das füßchen gebrochen

ich erinnere mich, dass ich
dieser erdung zugestimmt habe

ein feld, das nirgendwo endet
muss grenzen haben

ich reiche – von hier bis dort
und dann gibt es weitere länder

vielleicht ist es besser so
und dort weniger müdigkeit
in der eigenen unendlichkeit

ich krieche über die fensterbank
mit gebrochenem füßchen
ich liege auf einem teller als kalte kiwi
ich bin schnee, der nicht kommen wird
ich bin ein grenzenloses feld
ich bin ein paar tage vorm winter

як змясціць у сто словаў адзін год

па-за
    але
як ніколі раней з сабой

бязважкасць
    але
і цэментавы боль

быццам не дома
    але
быццам і так

жыццё ў антонімах

па слоўніках правяраю значэнні словаў
 patria 
     locus natalis
                    heimat
 што з іх радзіма

чаротаўка прымружыўшы вочы чакае калі разгорнецца першы лісток
сапраўдная радзіма бывае толькі ў марах
старажытныя скруткі даюць больш адказаў за стужкі навінаў
якія ўжо з год як не чытаю

і ўсё часцей размаўляю з мятлікамі і птушкамі
яны ні пра што не пытаюцца
яны проста ёсць
і дазваляюць быць
мне

там
дзе ні часу
                ні словаў

wie fasst man ein jahr in hundert worte

jenseits
    aber
wie nie zuvor bei mir selbst

das schwerelose
    aber
auch der zementschmerz

als wäre es nicht zu hause sein
    aber
als wär es das doch

das leben in antonymen

in wörterbüchern überprüfe ich was sie bedeuten
patria 
     locus natalis
                    heimat
 welches davon ist radzima?

die nachtigall wartet mit geschlossenen augen darauf
dass sich das erste blatt entfaltet
die wahre heimat gibt es nur im traum
alte schriftrollen geben mehr antworten als nachrichten
die ich seit einem jahr nicht mehr gelesen habe

und immer öfter spreche ich mit motten und vögeln
sie fragen nicht nach irgendetwas
sie sind einfach da
und erlauben
mir

einfach da
zu sein
wo es keine zeit gibt
                und keine worte

 

übersetzt von Matthias Göritz