Internationale Poetry-Biennale  -  Filmfestival  -  Salon  -  Netzwerk

Freitag, 25. Oktober, 20.30 Uhr

Barbi Marković
(Serbien - Serbia / Wien - Vienna)

Geboren 1980 in Belgrad, studierte Germanistik, lebt seit 2006 in Wien, 2011/2012 als Stadtschreiberin in Graz.

2009 machte Markovic mit dem Thomas-Bernhard-Remix-Roman Ausgehen Furore. 2016 erschien der Roman Superheldinnen, für den sie den Literaturpreis Alpha, den Förderpreis des Adelbert-von-Chamisso-Preises sowie 2019 den Priessnitz-Preis erhielt. 2017 las Barbi Markovic beim Bachmann-Preis, 2018 wurde Superheldinnen im Volkstheater Wien aufgeführt.

Zahlreiche Kurzgeschichten, Theaterstücke und Hörspiele. 2023 erhielt sie den Kunstpreis Berlin für Literatur. 2024 wurde sie mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik ausgezeichnet.

Zuletzt im Residenz Verlag erschienen: Die verschissene Zeit, 2021 und Minihorror, 2023.

 

 

Foto Apollonia Theresa Bitzan

COUSINE JENNIFER

 

Mini und Miki wollen nett sein, aber nichts ist einfach. Die Welt ist schrecklich, alles muss sterben. Die beiden müssen ziemlich viel erleiden, und genau dafür lieben wir sie.

Mini erzählt ungern über ihre Familie.

»Warum bist du so geheimnisvoll, wenn es um deine Verwandten geht?«, fragt Miki an einem lang­ weiligen Regentag, während Mini gerade mit einer Packung Linsenchips an ihm vorbeihuscht, um zu der Serie zurückzukehren, die sie schon seit sechs Stunden schaut.

»Sind sie Kriegsverbrecher?«, fragt Miki.
»Nein, ich glaube nicht«, sagt Mini.

 

Mini und Miki lachen unsicher, weil solche Scherz­fragen leicht daherkommen, aber zu unangenehmen Situationen führen können, wenn die Antwort Ja ist. Mini ist heute schlecht drauf, deshalb muss sie den ganzen Tag Serien schauen. Der Regen tropft in den Schlamm, aber wenn es nicht regnen würde, dann wäre da gar kein Schlamm: Minis Stimmung funktioniert ähnlich, und heute ist der Boden ihres Geistes einfach Gatsch, in dem man kaum Halt findet und nach einer Weile auf jeden Fall ausrutschen und hinfallen muss. Auch wenn man es dann irgendwie schafft, aufzustehen, sind die geistigen Beine verdreckt, nass und kalt, also insgesamt ist alles kontaminiert und die Existenz eine einzige Mühsal. Das geht aber vorbei, und Mini wird nach der Serie weiter machen wie zuvor.

Am nächsten Tag ... Das Wetter ist schön, und Mini und Miki entscheiden sich, zum Supermarkt zu gehen. Ihnen fehlen einige häusliche Produkte. Sie brauchen unbedingt Küchenrollen, außerdem Hafermilch, Gemüse, Rotwein, Brot und Eier. Sie versichern einander, dass sie fokussiert einkaufen werden, damit sie nicht das halbe Leben im Supermarkt verbringen, aber sobald sie den Laden betreten, vergessen sie auf die Küchenrollen. Auf Küchenrollen zu vergessen ist normalerweise kein Drama, nur in dieser Geschichte werden sie später gebraucht. Miki geht zum Weinregal, um Rotweine zu studieren, und Mini wird von verschiedenen bunten Trash und Fertigprodukten aus der Gefriertruhe verführt. Sie hat den Traum von einem nie da gewesenen, unfassbaren Fertiggericht Mix, der ihre Sinne umhauen wird, noch nicht verworfen. Ein glitzernder, im Mund explodierender Pizzaburger würde sie auf jeden Fall neugierig machen. Im Glas der Vitrine, in der Mini ihre Traumprodukte sucht, spiegelt sich Mikis Weinregal. Mini beobachtet den gespiegelten Miki, wie er die Rotweinetiketten sorgfältig liest. Die beiden haben ein sehr unterschiedliches Kaufverhalten. Er versucht, seine Impulse zu rechtfertigen und als trotzdem sparsam zu rationalisieren, mit Qualität zu argumentieren. Mini nicht. Mini erfüllt sich Wünsche, von denen sie nicht wusste, dass sie sie hatte.

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