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___Festival 2018________Europe_Inside_/_Outside________Wien 24_10 | München 26-28_10

Olga Martynova
(Russland/Frankfurt)
Mittwoch, 24. Oktober
Literaturhaus Wien
Freitag, 26. Oktober, 19 Uhr
whiteBOX München

Olga Martynova, 1962 bei Krasnojarsk in Sibirien geboren, wuchs in Leningrad auf. 1991 zog sie nach Deutschland, sie lebt in Frankfurt.

Sie schreibt Gedichte (auf Russisch) und Essays und Prosa (auf Deutsch). Für ein Kapitel aus ihrem Roman Mörikes Schlüsselbein gewann sie 2012 den Ingeborg-Bachmann-Preis. 2015 erhielt sie den Berliner Literaturpreis und hatte die Heiner-Müller-Gastprofessur für deutschsprachige Poetik an der FU Berlin inne.

Der Lyrikband Von Tschwirik und Tschwirka erschien 2012, ihr dritter Roman Der Engelherd 2016, der Essayband Über die Dummheit der Stunde 2018.

Olga Martynova, *1962 near Krasnojarsk in Sibiria, grew up in Leningrad. In 1991 she moved to Germany, now living in Frankfurt.

Sie writes poetry (in Russian) and essays and prose (in German). For one chapter from her novel Mörikes Schlüsselbein she won the Ingeborg-Bachmann-Preis in 2012. 2015 she was awarded the Berlin Literaturpreis and held the Heiner-Müller visiting professorship for German poetics Poetik at the FU Berlin.

Latest: Von Tschwirik und Tschwirka, poetry, 2012, Der Engelherd, her third novel, 2016, and the collection of essays Über die Dummheit der Stunde, 2018.

GEDICHT AUS DEM ROMAN ÜBER IDIOTEN

— Kennst du den lichten Streifen,
der im Walde umherirrt?
— Kenne ich, da atmet der Schimmel
dem modernden Holz auf der Nase.

— Kennst du die Walddunkelheit,
die sich auflöst in Licht?       
— Kenne ich, das ist der blaue Immel,
er sammelt sich Höhe. 

Die Sonne reift und reift nicht aus,
der Mond rasiert die Sternenwiese,
der blaue Immel schweift stolz,
hebt HabundGut auf vom Felde,
nur kleine Fische, versteckt zwischen Reusen.
schweigen nicht, keifen
einander Schroffes zu
mit ihren Flossen:

— Kennst du den lichten Streifen,
der im Walde umherirrt?
— Es gibt ihn nicht mehr, jetzt sitzt nur Schimmel
dem modernden Holz auf der Nase.

— Kennst du die Walddunkelheit,
die sich in Licht löst?
— Das ist der schreckliche blaue Immel,
er sammelt sich Höhe.

GEDICHT AUS DEM ROMAN ÜBER IDIOTEN (2)

Sich zu treffen geht ein Soldat (ein Gemeiner, wie man sagt), sich entgegen.
Man ruft ihn, jedoch besagt das noch nichts.
Von oben regnet es Zähne. Von unten herauf wachsen Hauer (man kennt sie vom Eber).
Er geht und geht weiter, der Rappelkopp, die Glöckchen in seinem Ranzen sind leicht.

Die Zähnlein knirschen unter den Füssen, die Straße gleißt.
Das Rückenwirbelgeläut bedeckt sich mit Wachs Schicht um Schicht.
Je länger dein Weg ist, desto weniger bist du zu vergessen bereit –
der Soldat läßt sich über dem blassen Himmel, doch unter dem Barfußheer nieder,

Holt aus dem Ranzen den Flachmann und das Buch, das vom Schluß her gelesne,
Schluckt etwas Wasser, das wird zu ranzigem Schweiß,
aus dem Buch springen Spielsteine, im Buch bleiben Löcher über,
auf nachher verschoben hat er sein Treffen mit sich –
während die Glöckchen trotzdem bis auf weiteres leicht sind.
In das Brombeergewirr und des Bockskrauts Jelängerjelieber
wirft die ewig bitteren Eicheln
die abgemattete Eiche mit dem Ersatzausdruck des Gesichts.

GEDICHT AUS DEM ROMAN ÜBER IDIOTEN (3)

Über ihren Weinberg rollt ihr der Wind die Kugel aus Regen.
Gegen den Wind aber sieh mit stumpfblauen Schwingen den Vogel rudern.
Und auf dem Kontrollgang stets die schnurrbartfüßigen Reben,
eine Ballade murmelnd über die Menschen der Zukunft. 
Die Bäume stehn abgewendet einer vom andern.
Denn sie können sich nicht mehr sehen. 0der?
Haben behalten, was war,
als wie spinnerte Spechte die Wetterfahnen hämmerten
in diesem Mäusesommer:
Die Zikaden schossen aus den verborgenen Zikadillen
Schutzschüsse mit einem Geschick auf gut Glück.
Die Spuren von ihren leuchtspurgeschossenen Trillern
waren schon da bereits? Oder wie? Oder blieben zurück?
Und nun?
Gegen den Wind sieh weiter  mit stumpfblauen Schwingen den Vogel rudern.
und den Wind die Ballade verbreiten über die Menschen der Zukunft,
und ein Kreuz ragt aus dem Boden –  als sei eine Kirche darunter
und  als träume die lumpige Vogelscheuche von den Menschen der Zukunft.
Wo sind alle? Wo denn – ist alles?

 

Aus dem Russischen von Elke Erb und Olga Martynova

GEDICHT AUS DEM ROMAN ÜBER IDIOTEN (4)

Oh du, oh du! Sandsegge, Kürbis,
und du Apfelbaum im Kalk-Trikot, oh,
und du ebenso, und du, und du, ihr
(wir) alle gezwängt in denselben Satz.
Bin im Inneren eures Alls
wie in einem Apfel,  woher denn weiß ich,
ob ein Wurm bin ich oder Kern.
Und wie gleichkommen dem da draußen,
oh du Sandsegge du und Gras,
und du Mäher, mähe, spähe
zur Kornblume hin und zum Mohn
herrlichen Augs, wie Schaum aufrauschend,
schau die Zuckmückenlarv' an der Angelschnur und die Zöpfe
im Graben, dem ungemähten, unter schlichtem Tuch.
Und alle werden wir, ein Krusten-Überschuß,
aufbrausen so innen wie außen.
Gib bloß Zeit. Bloß. Zeit.
Gib. Zeit. Bloß. Uns und. Schluß.