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___Festival 2018________Europe_Inside_/_Outside________Wien 24_10 | München 26-28_10

Oya Erdoğan
(Türkei)
Freitag, 26. Oktober, 14 Uhr
whiteBOX München

Oya Erdoğan, *1970 in der Türkei. Sie studierte Philosophie und Orientalistik in Wien und lebt als freie Schriftstellerin in Berlin.

Sie schreibt Essays, Prosa und Lyrik, sie macht Stimm-Performances und arbeitet mit Künstlern aus Musik, Fotografie, Tanz und Malerei zusammen.

Im Passagen Verlag erschien von ihr Wasser. Über die Anfänge der Philosophie. Gedichte erschienen zuletzt in manuskripte, Versnetze, und bei Fixpoetry.

www.oyaerdogan.com

Schwerpunkt Türkei | Focus Turkey

Oya Erdoğan, *1970 in Turkey, freelance writer. She studied philosophy and oriental studies in Vienna and curently lives in Berlin.

Erdoğan writes essays, prose and poetry, creates voice-rerformances and collaborates with musicians, photographers, dancers and painters.

The Passagen Verlag published her book Wasser. Über die Anfänge der Philosophie (Water. On the beginnings of philosophy). Her poetry was first publisized in manuskripte, Versnetze, and at Fixpoetry.

www.oyaerdogan.com

Muttersprache

Türkisch ist meine Muttersprache
Meine Muttersprache ist Deutsch

Die Brüste haben mich nicht gestillt

Mich zeugten heimlich die Zitzen einer Hindin

Meine Sprache ein Geweih heterodox
Am korrekten Ausdruck vorbei

Ich übersetze nicht

                    keine Sprache ich setze
                                        aus dem Nichts über





sehen

könntest du ruhig in meine augen sehen
so tief und bewegt wie deine

könntest den schatten meiner wimpern sehen
wie ferne säulen in meiner iris

könntest diese krümmung sehen
durch deine linse das dunkle haus

könntest in der mitte du sehen
k
önntest sie die kaaba sehen
umgeben von bewegter ruhe

in der haram al-sharif dich sehen
durch ihre wimpernbögen hindurch

die dunkle ruhe sehen
um die sich alle drehen

um die sich alle drehen
die dunkle ruhe sehen

durch ihre wimpernbögen hindurch
in der haram al-sharif dich sehen

umgeben von bewegter ruhe
könntest sie die kaaba sehen

könntest in der mitte du sehen

durch deine linse das dunkle haus
könntest diese krümmung sehen

wie ferne säulen in meiner iris

könntest den schatten meiner wimpern sehen

so tief und bewegt wie deine

könntest du ruhig in meine augen sehen

Tradition

I.
Reinheit kommt vom Glauben
pflegte meine Mutter zu sagen
und stellte alle Möbel um

um Staub auch im verborgensten
Winkel zu entfernen

II.

Sie putzte gerne und aus Gewohnheit
denn Sauberkeit ist unsere Tradition
so lernte sie es von ihrer Mutter

und reinigte jeden Tag Jahr ein Jahr aus
wann immer Zeit war unser Haus

III.

Auch ich sollte mehr als nur

Geschirr spülen sollte die Regale wischen
die Böden reinigen die Häkeldeckchen
auf den Sessellehnen richten aufräumen
was nicht in Ordnung war

IV.

Die Fenster waren ihre Leidenschaft
Licht hereinzulassen ohne Trübung
doch Gardinen mussten sein

damals betete meine Mutter noch nicht
fünf Mal am Tag vollzog die rituelle
Waschung nur dann und wann

V.

Abends putzte sie andere Häuser und Gott

gab ihr neue Spitzendecken Vorhangmanschetten
sie kaufte neue Möbel neue Teppiche
ließ
die Wände neu tapezieren wie neugeboren

war sie dann und lobte die Reinheit
die
vom Glauben kam

VI.

Nach ihr sollte ich geraten wie ein Apfel
denn der fällt nicht weit vom Stamm

so lernte ich es von meiner Mutter

ein gläubiges Leben sollte ich führen
putzen für Mann und Kinder
und warum nicht auch für andere
ich habe mich dann zur rechten Zeit
noch aus dem Staub gemacht

VII.

In meiner Wohnung

habe ich keine Häkeldeckchen
keine Gardinen vor dem Fenster
und auch keine neuen Möbel

nur einen klaren Winkel da

wo ich am Boden sitze meditiere
morgens abends und wann immer
Zeit ist fege ich die Gedanken
reinige den Geist die Sinne

ordne die Körperräume

Jahr ein Jahr aus

Das ist meine Tradition