Internationale Poetry-Biennale - Filmfestival - Salon - Netzwerk
___Festival 2018________Europe_Inside_/_Outside________Wien 24_10 | München 26-28_10
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Laura Accerboni (CH)
Lubi Barre (SO)
Lucy Beynon (GB)
Bela Chekurishvili (GE)
Audrey Chen (CN)
Odile Cornuz (CH)
Abbie Conant (US)
Oya Erdoğan (TR)
Katrin Sofie F. (DE)
Heike Fröhlich (DE)
Zsuzsanna Gahse (CH)
Petra Ganglbauer (AT)
Romana Ganzoni (CH)
Sabine Gruber (IT)
Lisa Jeschke (DE)
Kateryna Kalytko (UA)
Giedrė Kazlauskaitė (LT)
Judith Keller (CH)
Eka Kevanishvili (GE)
Margret Kreidl (AT)
Augusta Laar (DE/CH)
Kalle Laar (DE)
Zuzana Lazarová (CZ)
Swantje Lichtenstein (DE)
Barbi Marković (RS)
Olga Martynova (RU)
Gonca Özmen (TR)
Lynn Parkerson (US)
Rosa Pock (AT)
Dragica Rajčić (HR)
Oksana Sabuschko (UA)
Zoë Skoulding (GB)
Marie Šťastná (CZ)
Kinga Thót (HU)
Iryna Tsilyk (UA)
Anja Utler (DE)
Antje Vowinkel (DE)
Anne Waldman (US)
Elisabeth Wandeler-Deck (CH)
Neşe Yaşın (Zypern)
Barbara Yurtdas (DE)
Nora Zapf (DE)
(Georgien)
whiteBOX München
Bela Chekurishvili, *1974 in Gurjaani, Georgien, studierte georgische Sprache und Literatur an der Universität Tbilisi.
Sie arbeitet als Kulturjournalistin und ist Doktorandin für Komparatistik an der Universität Tbilisi, zur Zeit studiert sie an der Universität Bonn.
Letzte Veröffentlichungen: Detektor der Nacktheit, Intelekti Tbilisi 2017, Wir, die Apfelbäume, Wunderhorn 2016, Barfuß, ebd. 2018.
Schwerpunkt Georgien | Focus Georgia
Bela Chekurishvili, *1974 in Gurjaani, Georgia, studied georgian language and literature at the University of Tbilisi.
She works as a cultural journalist and is about to finish her Ph.D. in comparative studies at the University of Tbilisi, currently studying at the University of Bonn, Germany.
Latest publications: Detektor der Nacktheit, Intelekti Tbilisi 2017, Wir, die Apfelbäume, Wunderhorn 2016, Barfuß, 2018.
Manna-Brei*
Die grüne Eisenbahn fuhr im Kreis durchs Zimmer,
und wir drei Kinder warteten immer,
dass sie laut tutend den Bahnhof erreichte.
Mutter meinte, der Lärm macht sie krank,
und sie verabreichte uns dabei
noch je zwei Löffel Manna-Brei.
Weigerten wir uns, den Brei zu schlucken,
würde sie uns den Strom abdrehen
und mit den Schienen in den Keller gehen.
Dieser klebrige und süße Brei
war die Strafe unserer Kindheit.
Einen Löffel noch für Vater, einen für die Großmutter,
einen für die grüne Eisenbahn –
gurgelt es in meinem Hals mein Leben lang
und erinnert mich daran,
dass ich wortlos schlucken muss,
wenn ich nicht allein sein möchte,
und wenn ich verhindern will, dass man nimmt, versteckt, zerstört,
was ich mag, was mir gehört.
So ist es nun mal festgeschrieben,
Generationen wuchsen damit auf
und haben es für recht befunden.
Und ich muss es auch erdulden,
muss die Augen schließen, mich verstellen und mich freuen:
Ich bin kein armes Waisenkind und habe Brei.
Ich gehöre zur Gemeinschaft,
habe wortlos daran teil.
Andernfalls wird man mich strafen,
wird mich nicht mehr gerne haben,
wird verstecken, nehmen und zerstören, Dinge, die ich mag, die mir gehören,
wie die grüne Eisenbahn.
Laut tutend kam sie an dem Bahnhof an.
*Grießbrei für Kinder in der Sowjetunion.
Zigarettenstummel
Du gehst am Ufer in der Stadt am Rhein
und dein Blick streift über Pflastersteine
und Zigarettenstummel, die sich in den Fugen sammeln.
Du fängst zu zählen an und dir fällt ein, wie ihr solche Stummel aufgelesen habt,
einst in den Straßen einer anderen Stadt,
um sie per Mundstück rauchen zu können.
Und wenn dich jemand fragt, wie war’s denn so in deinem Land,
als eines schönen Tages die Sowjetunion verschwand,
als die Freiheit, die ersehnte,
dir und deiner Altersgruppe plötzlich in die Hände fiel,
dann fallen dir die Zigarettenstummel ein,
die ihr von der Straße und vom Bordstein aufgelesen habt,
und du gibst zur Antwort:
Jugendliche, die verliebt sind, merken gar nicht, wenn es Nacht wird,
weil es sie jetzt nicht nach Hause zieht,
wenn es im Park noch warm ist und der Mond scheint hell,
so kurz sind die Nächte damals gewesen
und die Morgenröte tönte klarer als silberne Gitarrensaiten.
Teenager waren wir und unsern Vätern klauten wir die Zigaretten,
ob sowjetisch oder westlich, oder ob sie die nun von den Roma hätten,
je nachdem, wie es die Laune unserer Väter wollte,
wieviel von dem ersparten Geld für Zigaretten draufgehen sollte.
Als wir dann Studenten waren, rauchten wir kühn in der Öffentlickeit,
zum Zeichen unserer Unabhängigkeit.
Dann hatte unser Land auch schon die seine in der Tasche.
Und aus uns wurde Zigarettenasche.