Birgit Kempker

Wie ich das Schreiben sehe

Ich fahre auf dem Fahrrad zum Haus mit dem Tisch auf dem Gepäckträger und sehe mich vom Tisch aus an, wie ich vom Tisch angesehen werde und dabei fahre. Wer so sieht holt bald ein Messer und Augen, zu schreiben, was so gesehen geschieht.

Das Schreiben. Das Schreiben, der Tisch und die Würde. Das Kantsche Würdeding. Wie wir das sehen. Wie wir das schreiben, wie wir das sehen. Wer wir sind.
Der Mensch soll nicht des Menschen Mittel sein. Das Kantding. Ich will mir das merken, auch für mich selbst und steche mit dem Küchenmesser zwei Löcher in den Tisch für die Augen. Zwei Augenhöhlen. Zwei Merklöcher. Die ausgestochenen Augen liegen in meinem Mäppchen, neben den Stiften. Nun sieht der Tisch mich anders an als der, der mich auf dem Fahrrad ansah, als ich ihn auf dem Gepäckträger ins Haus fuhr und vom Schreiben sprach mit mir und seinen Bildern.

Beginne mit dir selbst. Stelle deine eigenen Beine unter den Tisch. Beginne auf einem Tisch. Einem guten Tisch. Mit gutem Willen.

Ein guter Tisch steht da, wo ich nicht wohne, aber schreibe und bleibt da für mich stehen. Er wartet auf mich. Er schiebt mir ein Dach über die Beine. Provisorisch. Ein Schreibtisch. Ein Tatort. Ein Ort, von dem aus alle anderen Orte mit ihren anderen Tischen winken und Türen öffnen für mich.

Neben einem guten Tisch schlafe ich gut. Ich fliege zwischen dem Schreiben und Schlafen hin und her und gleichzeitig in den Himmel und in die Erde. Das mit der Erde übe ich. Er steht hinter mir, umfasst mich und startet. Ich soll unten bleiben während er mit mir oben ist. Das ist die Übung. So sind die Meister.

Sie wollen in sich selbst sein und Mittel und Kanal und an mehreren Orten zugleich. Wenn es gilt, gilt es für alle. Ist noch nicht so weit in meinem Kopf. Werde ihn anfüttern. Wird es kapieren.

Wohin sieht der Irrsinn? Der Irrsinn will nicht symbolisch handeln. Ein Ich kann nicht mit dem Irrsinn irgendwo hin oder hin sehen. Schreiben schon. Ich will ins kühle grüne Zimmer. Ich will dort sehen, was mich ansieht. Ich will dort das Gesehenwerden sehen. Ich will aus dem Hals blühen, grün, und dafür den Hals absetzen, damit ich seine Verbindungen prüfen kann, zu den Beinen. Ich will auch die Beine richten. Ich habe mehr Arme als im Biologiebuch stehen am Menschen. Ich will nicht Irrsinn, ich will auch keine Fiktion.

Ich finde Fiktion würdelos. Weil sie Mittel ist. Ich finde sie erfunden. Die Fiktion. Ich fand sie immer erfunden. Die Fiktion, sagt Pedro Almodovar über: Alles über meine Mutter und seine Filme, die Fiktion sei die bessere Welt. Wegen ihr lebt er. Glaubt er.

Mutter, System und Treppe
Väter:  Hans Eisler und Wilhelm Busch

Eine Mutter
geht die Treppe
niemals
ohne Dinge hoch
denn sie weiss
ganz instinktivisch
wenn wie diebisch
sie die Treppe
dinglos hoch geht
ist es aus
mit ihrem Ruf
im Haus und Hof

Eine Mutter
ginge unter
geht die Mutter
unter furios
auf der Treppe
schlagen Wellen
wie sie wollen sie
laufen wie die Mäuse
auf dem Tische
unsortierte Dinge
krumm herum

Wirr verfressen  
all die Schnallen
Deckel Dosen
Wimperntusche
Puder Unterhosen

Kuriose Dinge
auf die Treppe
sagt die Mutter
lege auf die Treppe
nie sie sind tot Kind

Asche Schrott
Mistanlage
eine Treppe
schreit nach Ordnung
doch sie ist
kein Karussell
kein Totenbordell

Wenn du essen willst
dann füge
zur Struktur im Hause
deinen guten Willen bei
niemand Kinder
geht hier nackt
leer und sinnlos
rauf und runter
dieser wächst nicht auf
in meinem Haus
der wird nicht lange gross
in meinem Mutterschoss
reiss ich das Unkraut raus

Die Sortierung
deines Geistes
kann durch Dinge
stellvertretend
wie gebügelt
stufenweise
vor sich gehen

Treppe
längstes Instrument
der Mutter
gegen Chaos
gegen keine Disziplin
beim Gehen
gegen Ungehorsam
Orientierungslosigkeit und Dreck
keine Stufe
die wir gehen
ohne Zweck
 
Wollt ihr Kinder
leben wie im Haifisch
ohne Treppe ohne Stufe
ohne Schränke Wände Dusche
ohne Socke ohne Pusche
wollt ihr die totale Onanie?
das Uterus wollen sie

Ich will leer gehen
rauf und runter
in dem Kopf  von mir
allein und wunderbar
ist die Treppe
leer und klar
 
Leer und vogelfrei
zu fliegen
ist für Tiere
nicht für Kinder
sagt die Mutter
dieser Treppe
diesen Wesen
angestellt
zu ihrem Glück
die aus ihrem Inneren einmal
rausgefunden haben müssen
ohne Treppe
doch mit Schnur
dass du durch die Dinge
die wir tragen
in Verbindung mit dir stehen
immer ewig und dich dadurch
in dein Leben ziehen
und zwirbeln
dass auch du geboren wirst

Meine Treppe
diese Mutter
in dem Kopf von mir
will gehen
denn der Kopf
mit dieser Mutter
auf der Treppe
der bleibt stehen
und ich will kein
kleines Schrittchen
mehr
mit dieser Mutter in mir
und auch keine Treppe
will ich weiter
in dem Haus
des Kopfes meiner Mutter
weiter gehen

Ich will nutzlos
rauf und runter
in dem Kopf von mir
und anderen
will ich ohne Dinge
tragen denken
will ich fallen steigen
wandern
denn ich denke
in dem Kopfe
stehen auf den Stufen
all die Dinge
schwimmen ungetragen
und ich selbst
bin eine Stufe
voll Gerümpel
im System

Dann verlasse ich das Haus
und die Dinge sehen
wie ich sie nicht tragen will
wie ich nie geboren bin
denn so Kinder
die nicht wollen
durch die Mutter
bleiben in der Luft
während der Geburt
im Graben - von Raben
aufgefressen
und verzaubert
vermaledeit und zugenäht
stehen