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1. Schamrock–Festival der Dichterinnen, 19.-21. Oktober 2012 * Münchner Feuilleton

Lyrik in München, wie sie lebt und rockt .
Die Zeitschrift »Das Gedicht« feiert Jubiläum und auf dem 1. Schamrock Festival der Dichterinnen lesen, performen und diskutieren renommierte Dichterinnen aus aller Weit.

Glaubte man den Literaturseiten der Tages‑ und Wochenzeitungen dieses Landes, dann könnte man den Eindruck gewinnen, die Lyrik spiele im Grunde keine Rolle mehr. Zwar wird hier und da und hin und wieder ein Gedicht abgedruckt, an einer kritischen Auseinandersetzung jedoch mangelt es weitgehend. Für jene Gattung, die gerade als öffentliche den Anfang der Literatur markiert und die die zunehmende Privatisierung des Schreibens und des Lesens durch die Prosa stets kritisch beäugt hat, muss das eine bittere Erfahrung sein. Allein, sie jammert nicht, sondern nimmt die Angelegenheit selbst in die Hand ‑ indem sie sich ihres mündlichen Ursprungs erinnert und jene Öffentlichkeit sucht, die ihr von vielen Medien, darunter nicht zuletzt von einem zunehmend mutlosen Buchmarkt, verweigert wird. Als lautstärkste Äußerung dieser Entwicklung darf zweifellos der Poetry Slam gelten, dessen Münchner Ausgabe schon lange auf ziemlich festen Füßen steht.

Den Vorwurf des allzu Populären, den sich der Poetry Slam immer wieder gefallen lassen muss, kennt man in München: von dem Dichterkreis »Die Krokodile«, der Mitte der 1850er Jahre gegründet wurde, nachdem König Max II. sowohl den Dichter Emanuel Geibel als auch den späteren Nobelpreisträger Paul Heyse mit gut dotierten Universitätsposten in die Stadt gelockt hatte. Geibel gilt heute als vergessen, überlebt hat er zuallererst in der Literatur der anderen, als Objekt des Spotts. Wilhelm Busch porträtierte ihn als »Balduin Bählamm, der verhinderte Dichter« und Thomas Mann diente Geibel als Vorbild für Jean Jacques Hoffstede aus den »Buddenbrooks«: »der Poet der Stadt, der sicherlich auch für den heutigen Tag ein paar Reime in der Tasche hatte ... «

... München, das muss man so nüchtern feststellen, mausert sich gleichsam unbemerkt zur deutschen Lyrik‑Hauptstadt.
Der vielleicht beste Beweis dafür ist das Schamrock‑Festival der Dichterinnen, ein kaum weniger internationales Gipfeltreffen, das am vorletzten Oktoberwochenende stattfinden wird. Drei Tage dauert das Festival, über 40 Dichterinnen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Südtirol, Finnland und den USA reisen an, um zu lesen, zu performen, Rede und Antwort zu stehen. Tanja Dückers, Lydia Daher, Karin Fellner, Ilma Rakusa, Marlene Streeruwitz und Ruth Klüger sind nur ein paar wenige der vielen klangvollen Namen, die man ‑ den Kuratorinnen Augusta Laar, Alma Larsen und Sarah Ines Struck sei Dank ‑ im Programm findet. Und auch in diesem Fall wird der Vorfreude per World Wide Web gebührend Ausdruck verliehen: Auf der Seite www.schamrock.org findet man Porträts aller Teilnehmerinnen inklusive Gedichtauszügen sowie eine zauberhafte »Gruszbotschaft«, sowohl in Schreibmaschinenschrift als auch auf Video, von Friederike Mayröcker, die ihre Teilnahme leider absagen musste: »Bin hingerissen in eurer Mitte«, schreibt die österreichische Dichterin, die im Dezember dieses Jahres 88 Jahre alt wird.

»Hingerissen in eurer Mitte«: Das benennt die neue öffentliche Präsenz der Lyrik, nicht nur in München, wohl ziemlich treffend. Auch der Name »Schamrock« gründet eben nicht zufällig in der lyrischen Mündlichkeit: »das gezirre / zieht zieht / das geflirre / ziert ziert / das gezische / fischt fischt / das geziehe / flieht flieht / das gezirpe / führt führt / das ni na ni na ni / was die scham rockt«, lautet das Gedicht von Augusta Laar, dem der Lyrikerinnen‑Salon seine Bezeichnung verdankt. Stets ein paar Reime in der Tasche zu haben, ist, gerade in München, mithin längst nicht so verwerflich, wie Thomas Mann vor über 100 Jahren behauptete.

KATRIN SCHUSTER