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1. Schamrock–Festival der Dichterinnen, 19.-21. Oktober 2012 * Süddeutsche Zeitung
Frauen‑Schwarm. Augusta Laar organisiert ein Festival für Dichterinnen
München ‑ Der Hauch von einer Stimme scheint aus den Tiefen des Weltalls zu kommen. "Der große Stern fällt auf mich zu", wispert diese Stimme, von sphärischen Gitarrenklängen umspielt, "lass mich nicht los, ich gehe von selbst". Es rauscht, sie haucht, dann ist es aus.
Augusta Laar hat dieses Gedicht aus ihrem Band "weniger stimmen" für eine CD gelesen, begleitet von"Kunst oder Unfall". So heißt ein gemeinsam mit ihrem Mann, dem Klangkünstler Kalle Laar, betriebenes Musikprojekt. Grenzüberschreitungen sind bei den beiden Programm ‑und so ist es keine Überraschung, dass die Musikerin, Künstlerin und Lyrikerin Augusta Laar für sich gleich noch eine weitere Berufsbezeichnung parat hat: "Ich sehe mich als Kommunikatorin." In dieser Funktion bringt sie jetzt mehr als 40 Lyrikerinnen in der Pasinger Fabrik zusammen, beim ersten "Schamrock‑Festival der Dichterinnen".
Klingt nach einer kühnen Idee. Und die Umsetzung, so versichert Augusta Laar, erfordert einigen Mut. Seit zwei Jahren plant Laar das Festival, unterstützt von Alma Larsen und Sarah Ines Struck, und von Anfang an hat sie dabei groß gedacht. So hat sie zugkräftige Namen wie Ruth Klüger und Marlene Streeruwitz gewinnen können; an einen Auftritt von Streeruwitz, vor vielen Jahren an der Wiener Schule für Dichtung, erinnert sie sich noch heute: "Da hat sie im Wasser sitzend Gedichte vorgetragen."
Augusta Laar liebt solche Experimente. Sie ist selbst stark von der Wiener Schule der Dichtung beeinflusst, die wiederum von Beat‑Autoren wie Allen Ginsberg und Aktionskünstlern wie Christian Ide Hintze geprägt wurde. Sie hat dort gelernt ‑ zum Beispiel 14 Tage lang im Dunkeln zu schreiben ‑ und gelehrt: "Schreiben im Puff" unter anderem, "das war toll!" Junge Lyrikerinnen von heute findet die 57‑Jährige, immer noch mädchenhaft zart wirkende Multi‑Künstlerin hingegen nicht experimentell genug. Sie seien "zu akademisch, zu konzeptuell, zu distanziert"; zu sehr geprägt vom Handwerk, wie es am Leipziger Literaturinstitut geübt werde.
Beim Schamrock‑Festival werden jedenfalls die unterschiedlichsten Töne angeschlagen, soll das Spektrum von der "sehr philosophischen Lyrik" einer Tamara Ralis bis zum Projekt "Beißpony" reichen: "Die treten mit verstärkter Schreibmaschine auf und sind so'n bisschen aktivistisch." Dass die Jungen immer stärker auf Performance setzen, erklärt Laar mit dem Zwang zur Selbstdarstellung: "Lyrik kauft niemand. Man muss die Leute zu den Lesungen kriegen." Der Siegeszug des Rap habe geholfen, die Wortkunst auch bei Jugendlichen populär zu machen: "Plötzlich ist es 'Spoken Word' und nicht mehr Lyrik."
Doch noch immer spielen auf der Bühne wie in den Büchern Männer die Hauptrollen. Als Laar vor drei Jahren anfing, zunächst mit Gabriele Trinckler einen regelmäßigen Schamrock‑Salon einzurichten, war dies der entscheidende Impuls: "Uns war es zu wenig, was von Frauen auf dem Markt ist. Der Frauenanteil in Anthologien lag bei fünf bis 15 Prozent ‑ und das ist leider immer noch so." Warum sich so wenig ändert? "Der Künstlerbegriff ist männlich geprägt", sagt Laar, "der geniale Künstler ist ein Mann." Und sie erzählt die so lustige wie traurige Anekdote einer Freundin, die sich bei einem österreichischen Wettbewerb als junger ostdeutscher Poet ausgab ‑ und prompt den ersten Preis gewann.
Doch Laar ist auch kritisch gegenüber dem eigenen Geschlecht: Viele Frauen nähmen die Sache nicht ernst genug, sagt sie, sähen ihre Kunst eher als Hobby. Auch sie selbst verdient ihren Lebensunterhalt, indem sie 35 Klavierschüler unterrichtet. Anders wäre es auch nicht möglich, ehrenamtlich ein Lyrik‑Festival zu stemmen. 30 000 Euro hat Laar zusammengekratzt, Förderungen in fünf Ländern beantragt, auf Ämtern in München und Wien gebettelt. Kooperationen wie mit dem Münchner Lyrik Kabinett haben geholfen ‑ und all die vielen Kontakte ihres Dichterinnen Netzwerkes. Dabei hat Laar festgestellt: "Frauen sind nicht die besseren Menschen ‑ aber sie können sehr toll zusammenarbeiten, wenn sie sich dafür entscheiden."
Die Finninnen sind darin offenbar besonders gut. Deren Literaturamt hat die Entsendung von sieben Lyrikerinnen zugesagt ‑ für 2014. Auch die große alte Poetin Friederike Mayröcker hat versprochen, dann dabei zu sein ‑ in Wien. Für Laar ist damit klar: Es wird in zwei Jahren ein weiteres Festival geben, dann eben in München und Wien, mit Mayröcker und mit sieben Finninnen. "Es ist wie ein großer Traum", hatte sie zu Beginn des Gesprächs über ihr Festival gesagt, "wie ein großes Kunstprojekt." Und sie macht den Eindruck, als ob sie aus diesem Traum nicht so schnell aufwachen wolle.
ANTJE WEBER