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10 Jahre Schamrock-Salon der Dichterinnen____Monacensia | München 19. September 2019
Münchner Dichterinnen lesen Münchner Dichterinnen
Gabriele Trinckler - Marie Luise Weissmann

geboren 1966 in Berlin, lebt seit 1999 in München.
Autorin. Herausgeberin. Verlagsassistentin im Anton G. Leitner Verlag, Weßling. Redakteurin der Zeitschrift DAS GEDICHT. 2006 erschien ihr erster Gedichtband bauchkitzel mit forelle in der Reihe Poesie 21 bei Steinmeier in Deiningen. Herausgeberin diverser Lyrikanthologien, u. a. wie das zergeht auf der zunge, Poesie 21 bei Steinmeier, Deiningen 2012, sowie (zusammen mit Anton G. Leitner) Weihnachtsgedichte, dtv, München 2012, Der Garten der Poesie, dtv, München 2010 (Neuausgabe, HC).

www.trinckler.de Gabriele Trinckler beim Schamrock-Festival der Dichterinnen 2012

Maria Luise Weissmann wurde am 20. August 1899 in Schweinfurt geboren. Ihre ersten Veröffentlichungen erschienen 1918 im "Fränkischen Kurier" (auch unter dem Pseudonym M. Wels). Sie war Sekretärin des Nürnberger "Literarischen Bundes". Seit 1919/20 Mitarbeiterin des Verlages Oskar Schloss in München. 1922 Heirat mit dem Verleger und Autor Heinrich F.S. Bachmair. In den folgenden Jahren publizierte Maria Luise Weissmann vor allem Lyrik. Sie starb nach kurzer, schwerer Krankheit am 7. November 1929 in München. 
Ausführliches Autorenporträt im Literaturportal Bayern.

⇒ Marie Luise Weissmann Nachlass in der Monacensia

danaë

leda hatte ihren schicken
schwan europa einen wilden
stier und ich mal wieder die
arschkarte ein paar tröpfchen
durchs marode dach gewichst

und schon sprechen männer
ehrfürchtig vom goldregen
meine gynäkologin sagte was
von künstlicher befruchtung
hätte ich den schirm schnell

aufgespannt wärs safer sex
gewesen aber mir war ja so
langweilig und papi nahm
mir mein neues smartphone
weg weil er abergläubische

angst vorm sterben hatte ich
riet ihm zu chillen aber mein
alter schrie nur stubenarrest
keine raves keine orgien und
wenn du dich auf den kopf

stellst okay dachte ich danke
für den ratschlag und übte
fortan handstand wie eine
altgriechische olympionikin
beim bodenturnen

Der Kranke

Manchmal hebe ich meine Hände von der Decke ins Licht.
Nicht lange, denn sie sind schwer; und sehe wie das Licht
Sie umflicht mit einem roten Geäst von Blut.
Ich fühle eine fremde Wärme, die mir nicht wehe tut,
Mich in einen milden Schlafschleier spinnen.
Alle Menschen kommen und gehen und sind gut.
Sie sagen: ich leide. Doch ich vergaß das. – Leid? –
Ich kann mich dunkel immer nur auf eins besinnen:
Irgendwo in der Ferne vergeht die Zeit.
Irgendwo in der Ferne muß mein Leben verrinnen.

selbstentzündung

der unbändige drang des nicht
rauchers zigaretten zu holen
hinten an der fremden ecke von
kamtschatka die krawatte lösen

den aschgrauen anzug das steif
gestärkte hemd ablegen alle
manschettenknöpfe im klo weg
spülen und endlich wieder sein

rotes feuerzeug überstreifen
mit dem er sich durch die halbe
jugend gebrannt hat als flammen
werfer in die herzen hübscher

heldinnen wo rauch ist sagen sie
sieht man die hand vor augen
nicht doch es riecht nach brand
beschleuniger zipp zipp zippo

Der Einsiedler

Er hatte seit Jahren nicht mehr gesät
Verstreut noch reifte ihm das Getreide
Zuletzt ließ er den Hafer ungemäht
Sein Pferd verlor sich auf der Weide.

Er brach eine Zeit noch Beeren vom Ast
Als müßte er einen Hunger stillen,
Dann vergaß er auch diese letzte Last
Um seiner tieferen Ruhe willen.

Er saß vor der Hütte bei Tag und Nacht
Die Hütte verfiel in Wind und Regen
Allmählich wuchsen die Gräser sacht
Seinen Füßen und Knien entgegen

Und wuchsen langsam durch seine Hand.
Er ward wie en Sieb, ohne Außen und Innen
Gleichmäßig und ganz ohne Widerstand
Konnten die Jahre durch ihn rinnen.