Internationale Poetry-Biennale - Filmfestival - Salon - Netzwerk
___Festival spezial 2017________________________________
- Lydia Daher
- Anja Golob
- Ricarda Kiel
- Nadja Küchenmeister
- Swantje Lichtenstein
- Verena Marisa
- Olga Martynova
- Judith Nika Pfeifer
- Sigurbjörg Þrastardóttir
- Ulrike Almut Sandig
- Annette Schmucki
- Daniela Seel
- Brigitte Struzyk
- Torild Wardenaer
- Kunst oder Unfall /
Augusta Laar
Kalle Aldis Laar
Special Guest:
Abbie Conant
(D)
Villa Concordia
Nadja Küchenmeister wurde 1981 in Ostberlin geboren und wuchs dort auf. Sie studierte Germanistik und Soziologie an der Technischen Universität Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig.
Sie veröffentlichte in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien und arbeitet für den Rundfunk, u.a. als Hörspielautorin.
Sie erhielt das Berliner Senatsstipendium (2007), das Förderstipendium der Kulturstiftung Sachsen (2009), das Hermann-Lenz-Stipendium (2010), den Kunstpreis Literatur Berlin-Brandenburg (2010) sowie den Mondseer Lyrikpreis (2010).
Im Jahr 2006 nahm sie an der Übersetzerwerkstatt "Poesie der Nachbarn - Schweiz" teil. In der Künstleredition "SchwarzHandPresse" erschien im Jahr 2009 der neun Gedichte umfassende Sonderdruck "nachbild" in limitierter Auflage. Ihr erster Gedichtband Alle Lichter, der im Jahr 2010 bei Schöffling & Co. erschien, wurde im Juni desselben Jahres von der Darmstädter Jury zum Buch des Monats gewählt.
Nadja Küchenmeister war 2016/17 Stipendiatin der Villa Concordia.
staub
wenn die tür geschlossen wird, sind auch die hunde
still in ihren hütten. der flugverkehr ist eingestellt, kein
rasenmäher und kein weckerticken, nichts stört. nur
der saum der gardine, der am boden schleift. ein lichtstrahl
der mein auge trifft. fiebergefühle. das holz knackt leise.
nur eine wespe, die ans fenster schlägt. draußen wiegen
sich die tannen. im zimmer, unter meinem bett, wo einer
liegt mit stumpfem messer, zittern die flusen. staub.
staub. ich höre die wespe, die über mir ist. das klappern
von tellern aus der küche, gläserklirren, jetzt das besteck:
wer, wenn ich schriee, hörte mich denn, ist erst der tierfilm
im dritten programm und das gespräch in vollem gang
und nichts davon für mich bestimmt, gefangen im endlosen
nachmittagslicht. staub. staub. bin ich das insekt, das maßlos
erschöpfte, in diesem bett lag meine mutter als kind.
reise zum mond
wir fahren weg. vergessen einfach, was gewesen ist.
auch das polierte klingelschild? auch das. wir pumpen
uns die lungen voll mit sauerstoff. wir lassen uns
vom hellen gleißen einer maisonne verschlingen ...
wir gehen schwimmen, nackt. wir essen wenig, sprechen
nicht, und was uns aus den wipfeln der kastanie anrauscht
erreicht uns unterhalb des kinns. wir gleiten in den lauen
frühlingsabend, der seine wärme nicht entlassen will. wir
träumen wachsam und wir bleiben wach, wenn unsre träume
in den kehlkopf ziehen. die sterne zittern nach in ihrer fassung.
wir sehen auf dem mond das sonnenlicht. wir werden blind. wir
wissen nicht, ob wir gestorben oder nur unermesslich traurig sind.
die mittagsstunde
die mittagsstunde, grau ummantelt, hält die wärme
des bettes bereit und das erschöpfte singen der vögel
hinter dem vorhang träumt sich so leicht. wie schwer
wiegt das lautlose atmen zu zweit, denn was dir im arm
liegt, ist nicht das, was dir bleibt. der staub, der sich bei
allen abschieden zeigt, macht dich so milde und furchtsam
zugleich: wie gut, dass sich das schweigen zerschweigt.
und jene hand, die vormals geliebte, fasst in die mittags
wunde hinein und was sie berührt, wird wieder zu stein.
ohne mich
ich kann das bild nicht mit hinübernehmen.
alle sprechen in den mund. ich muss das bild
in die pupille stecken. wo geht das bild hin
ohne mich: wenn alle mich in die pupille stecken
kann ich gehen ohne mund. ohne bild muss
die pupille brechen. alle sprechen ohne grund.