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___Festival spezial 2017________________________________

Anja Golob
(Slowenien / Slovenia)
Mittwoch, 8. November, 20.30 Uhr
Naturhistorisches Museum - Vogelsaal


Foto Martin Richartz

www.anjagolob.org

* 1976 in Ljubljana. Dichterin, Autorin, Übersetzerin und Dramaturgin. Sie studierte Philosophie und vergleichende Literaturwissenschaften und hat bisher vier Gedichtbände veröffentlicht.

Ihr zweites Buch Vesa v vzgibi (Der gekrümmte Hang) gewann den Jenko Preis 2014.Im April 2016 wurde sie zur Teilnahme am "Literary Europe Live"-Projekt ausgewählt.

Sie ist Mitgründerin und Chefredakteurin des Verlags VigeVageKnjige.

Anja Golob (1976, Slovenia) studied philosophy and comparative literature at the Faculty of Arts in Ljubljana, and currently works as poet, writer, translator, publicist, and the editor-in-chief of a small publishing house VigeVageKnjige she co-founded in 2013.

So far published 4 poetry collections: 3 in Slovene: “V roki” (Litera, 2010), “Vesa v zgibi” (Mladinska knjiga, 2013 & 2nd print, 2016), and “Didaskalije k dihanju” (self-published, 2016 & 2nd print, 2016) + 1 in German translation: “ab und zu  neigungen” (hochroth, 2015). The second and the third Slovene book were both awarded the Jenko Poetry Prize (2014 & 2016) for best poetry collection in past 2 years. It is so far unprecedented for an author to receive the award twice in such short period of time.

Recent residencies: Vila Waldberta (Stadt München, Feldafing, Fall 2015), PEN Flanders in Antwerpen (May 2016), art residency Berlin (Slovene Ministry of Culture, June 2016), LCB Berlin (December – January 2016/17), PEN Bosnia / Herzegovina in Sarajevo (April 2017).
She was the only Slovene representative on CROWD omnibus literary tour 2016, and was chosen among the 10 outstanding emerging European literary creators in Literary Europe Live April 2016. 

Presently, she is writing her 1st novel. In Fall 2018, the German translation of her third poetry collection will be published by Edition Korrespondenzen.

WO DAS KIND DAS KERBTIER FING

Dort, wo das Kind das Kerbtier fing
blieb eine flache Kuhle zurück.
Der Wind trug stetig Laub hinein,
tote Ameisen und dürre Nadeln.
Wenn die Sonne lang genug drüber lief
beruhigte sich die Welt darin.
Allmählich wurde das Leben dort dichter.

Anfangs war der Raum so stark, verschob Rahmen,
doch die dunklen, schwachen Schatten, die das Tier,
gefangen, zurückließ, ließen keinen Frieden zu.
Dort, wo das Kind das Kerbtier fing,
blieb in der Luft eine winzige Scharte zurück.

Das Kind wusste nicht, was seine Hand griff, nicht
die Kerbtier-Familie, Lampyridae, Ordnung Coleoptera,
dass es Flügel hatte, nachts die eigene Fährte anstrahlte,
dass es Licht abgab, das ein kühles war,
weil sein Spektrum abgehackt, seine Wellenlänge
zwischen 510 und 670 Nanometern lag.
Statt: „Nano, Nano!“ schrie es also:
„Summsumm! Summsumm!“ und schnitt mit der Faust
triumphierend durch die Luft, ein Sturmsoldat, der
einem Ruf folgt, aber fürchtet, was da kommen mag.

Dort, wo das Kind das Kerbtier fing,
zerwehte der Wind die Wolken.
Durch schmalen Spalt
fällt nachts ein Schimmer
auf die flache Kuhle im Boden
auf die winzige Scharte in der Luft,
aus leerem Himmel.

DIE KÜHE UND DIE ZEIT

Oh Seelenruhe der Tiere, liegen im kühlen Gras,
warten auf den Tod! Gemächlich finden sie eine
schattige Stelle, grasen schweigend Zeit. Stetig
sind sie da, und wenn sie nicht da sind, wachsen,
wo sie sonst liegen, runzlige Schatten, atmen hinein
in die Erde.
Sie sehen Züge, die vorbeidüsen, begreifen nicht
die Eile. Sie wissen nicht, was „Eile“ heißt, ihre Unendlichkeit
hat Weiden, Weiden und Wasser, Wasser und Weiden,
Abendrot, Traben in den Stall, Melken, steh still.
Dann kommt ein Jahr, da fällt dein Geburtstag nicht auf
den richtigen Tag, und Weihnachten ist Mitte September,
oder vielleicht Ende Mai, oder gar nicht.
Die Kühe stehen da, denken an nichts außer Kosmos,
der eine Art Schaum im Milchkübel ist,
an Menschen auf dem Mond, an die Striemen
der Wolken, die angriffslustige Ozonlöcher verstecken,
von denen die Kühe Kopfschmerzen bekommen,
weswegen Bäume wichtig sind, und manchmal
irren sich die Kühe, ein flüchtiger Fehler,
und kommen am falschen Datum, um deinen
Geburtstag zu feiern. Du spürst sie, stellst dich
dumm, ein Tag wie jeder andere, du musst nicht
wirklich ein Jahr älter werden, aber dann erzählen
sie, dass heute auch die Schatten kamen, dass
niemand mehr lebt auf der Erde, dass niemand
mehr auf der kahlen Wiese in sie atmet, dass heute eine
Ausnahme ist. Nun weißt du Bescheid, zugleich landet über dir
eine Kuh auf dem Mond, ein Mensch auf dem Mars, drum mach dich bereit,
marsch, lass den Kühlschrank, lass die Tortenkerzen,
leg dein Kleid bereit, nimm die Serviette,
falte sie zu einem Flugzeug, rasch! Wir starten,
die Tiere zählen ab, 3 …, 4 …, jetzt!
Alles Gute, flieg ab, flieg ab,
alles, alles Gute zu
Deinem Geburtstag.

ENTFERNUNGEN                                                

7. August 1974, Philippe Petit klettert in NYC auf einen Twin Tower, tritt
auf das Drahtseil, 450 Meter hoch, läuft 45 Minuten durch die Luft,
vor und zurück über 61 Meter nebligen, windigen Himmel.
März 1988, Marina Abramović startet am östlichen Ende der Chinesischen
Mauer. Am westlichen Ende beginnt Ulay im März ´88 seine Reise.
Nach anderthalb Monaten treffen sie aufeinander, trennen sich, ihre Rücken
einander zugewandt, bis die 8851,8 Kilometer zweimal abgelaufen sind. Ihr Gang
zwischen Ost und West: drei Monate, der Weg zwischen Anfang und Ende
der Liebe aber unmessbar, selbst wenn du dich an Lichtgeschwindigkeit im
Vakuum hältst (C = 299.792.458 M/S).
Zwischen Dover und Calais liegt, über 33 Kilometer Luftlinie, das sich hebende,
senkende Meer, im Volksmund The Strait of Dover genannt.
Hier, nach Calais, bring ich mein Werkzeug, den Hammer vor allem, Schaufel
und Nägel, lange Nägel. Hier will ich bauen, ich sag es mit dem Unbehagen
von einer, die nicht fähig ist, Dinge zu teilen – wie Wasser. Dann sitz ich an
der Küste, schau mich um, denke nach. Dann kauf ich Holz, berechne Fläche,
feilsche Preise. Buchenholz ist hart, robust. Dann feile ich an meinem Plan.
Dann steh ich auf. Dann fang ich an: verhandle mit den Wolken, kann ich
bei Morgenrot bitte acht Träger hämmern ins Firmament, aus Stahl, nach Norden
vier, nach Süden vier. Dann such ich Stahldraht im Eisenladen von Calais.
Dann leg ich los. Ich esse nicht, schlafe nicht, füttre mit meinem Brabbeln die Vögel,
die mir vom anderen Ufer bringen, was ich wissen muss, ich baue, ohne Unterlass,
bedacht, immer gerichtet auf das, was auf mich wartet, dann.
45 Minuten sind um, 3 Monate sind um, 33 Kilometer wilden Meeres sind um.
Dann seh ich sie. Dann bau ich fertig. Dann betret ich wieder festen Boden.
Jetzt haben wir da einen Steg, der uns verbindet. Und wir, die lieben, sind
die Bauarbeiter, sind die Flugzeuge, sind lange, lange Stahldrahtseile.
Wir tragen Licht, wir geben Körper, damit was wir lieben, Zeit und Form gewinnt.
Und was da Form gewinnt, nimmt alle Maße auf, alle Meter, Sekunden,
alles Licht, lange Nägel, Meer, das sich nicht spalten lässt.
Wir sind der Steg, der eint, was sich liebt, mit dem, der liebt.

 

Aus dem Slowenischen von Urška P. Černe & Uljana Wolf.