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Süddeutsche Zeitung, 24. Oktober 2018

Warten auf die große Welle

Lyrikerin und Musikerin Augusta Laar über ihr Programm, das Übersetzen und Baumaschinen.

Zum vierten Mal veranstaltet die Münchner Lyrikerin und Musikerin Augusta Laar das dreitägige Schamrock-Festival der Dichterinnen. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Klangkünstler und Komponisten Kalle Aldis Laar, organisiert sie das dreitägige Treffen, zu dem 50 Lyrikerinnen aus Deutschland, England, Georgien, Italien, Kroatien, Litauen, Österreich, Russland, der Schweiz, Serbien, Ukraine, Ungarn, Tschechische Republik, der Türkei und Zypern, aus China, dem Senegal und den USA anreisen.

SZ: Schon sehr gestresst?

Augusta Laar: Geht so. Ich bin schon viel gelassener. Eigentlich sind es jetzt bloß Kleinigkeiten, die mich in Atem halten. Die brillante Oksana Sabuschko stellt hier erstmals ihre neuen Gedichte vor, worauf wir natürlich sehr stolz sind. Sie sind extra für uns übersetzt worden. Nachdem ich die Übersetzungen gelesen hatte, kamen sie mir zunächst zu kurz vor. Statt den geplanten 15 Minuten dauern sie bloß neun. Aber Oksana wies mich darauf hin, dass die Texte auf Ukrainisch länger dauern.

SZ: Dann passt es ja, sie liest doch in ihrer Muttersprache.

Warten wir es ab. Es ist oft schwierig mit den Übersetzungen, man weiß nicht, meint es die Autorin so oder ist es bloß unstimmig übersetzt. Eka Kevanishvili, die georgische Lyrikerin, hat jetzt auf der Frankfurter Buchmesse gelesen. AnschlieBend hat ein deutscher Autor sie darauf hingewiesen, dass ein paar Wendungen in den Übersetzungen nicht sichtbar sind. Jetzt hat sie die Gedichte, die sie bei uns liest, nochmal neu übersetzen lassen.

SZ: Werden die Übersetzungen vorgelesen?

Zum ersten Mal nicht mehr. Wir projizieren sie nur mehr zum Mitlesen an die Wand. Ich mag es nicht, wenn Schauspieler lesen, da wirkt immer alles so hochdramatisch. Aber so wie in Berlin wollten wir es auch nicht machen: Da hat der Besucher die Texte mit dabei und kann sie im Licht einer Taschenlampe lesen. Also projizieren wir die Texte, was schon ein ziemlicher Aufwand ist.

SZ: Warum?

Weil die Autoren die Gedichte rechtzeitig und in der richtigen Reihenfolge schicken müssen. Sonst passt nichts zusammen.

SZ: Kann es sein, dass Sie Ihr Programm bisschen dicht takten? Oft lesen in einer Stunde drei Dichterinnen.

Ich mag das. Das Festival soll wie eine große Welle sein. Ich verstehe die drei Tage auch als installatives Projekt. Ich feile so lange am Programm, bis es fast wie eine begehbare Skulptur wirkt. Davon abgesehen wissen wir nie, ob wir das Festival wieder veranstalten, wir haben außer dem Kulturreferat München keine festen Geldgeber. Schon allein deshalb möchte ich jedes Mal ganz viele Dichterinnen einladen.

SZ: Das Festival findet erstmals in der Whitebox statt, nicht mehr in der Pasinger Fabrik. Warum der Ortswechsel?

Weil wir dort Platz für zwei Bühnen haben, was sehr praktisch ist für die schnellen Wechsel. Im Moment sorge ich mich allerdings etwas, ob man uns dort vor lauter Baumaschinen überhaupt findet. Die Baustellen im Werksviertel verändern sich laufend, ständig sieht alles anders aus.

SZ: Irgendwie passt das zu Ihrem Festivalmotto ,,Europe Inside/Outside". Sind alle europäischen Länder vertreten?

Nicht alle, aber viele. Wir wollten viel mehr Autorinnen aus Italien und Frankreich haben, aber dafür erhielten wir nicht genug Fördermittel. Daher ist Frankreich leider gar nicht dabei.

SZ: Dafür sind die USA stark vertreten mit der legendären Beatpoetin Anne Waldmann. Wie kam der Kontakt zustande?

Ich habe sie vor vielen Jahren in Wien kennengelernt, als ich einen Workshop bei ihr machte. Für mich ist sie fast wie eine Schamanin. Ich bin sehr froh über die Schreibklasse, die sie bei uns veranstaltet. Sie hat eine ungeheuer starke Ausstrahlung.

SZ: Selbiges lässt sich wohl auch von Rosa Pock sagen, Dichterin und langjährige Ehefrau von HC Artmann?

Absolut. Sie ist eine Philosophin. Wer mit ihr eine halbe Stunde redet, geht verwandelt weg. Sie ist Kettenraucherin, hat eine tiefe Stimme, sie ist großartig.

SZ: War es schwierig, die Posaunistin Abbie Conant zu einem gemeinsamen Performance-Auftritt mit Ihrem Duo „Kunst oder Unfall“ zu überreden?

Nein, mein Mann ist ja mit ihr befreundet. Aber klar, die 13-jährige juristische Dauerfehde mit den Münchner Philharmonikern hat Spuren hinterlassen. Wenn man denkt, dass sie dort 1980 als Soloposaunistin anfing, nachdem sie das Vorspiel in einer „blind audition“ für sich entschieden hatte. Nur weil Chefdirigent Sergiu Celibidache partout keine Frau haben wollte und versuchte, sie loszuwerden, musste sie jahrelang prozessieren. Aber sie hat alles gewonnen, bevor sie 1993 wegging.

SZ: Und kommen jetzt die Philharmoniker zur Performance?

Wir versuchen, ein Gespräch zu initiieren. Aber ob es klappt, wissen wir nicht.

Interview von Sabine Reithmaier

Festival-Infos: „Europe Inside / Outside“ lautet diesmal das Motto des Schamrock-Festivals, das alle zwei Jahre stattfindet. Eingeladen sind diesmal 50 Dichterinnen, Musikerinnen und Performerinnen - von Zoë Skoulding aus Wales bis zu Katrin Sofie F. aus München. Sie sind in Gruppen- und Einzellesungen zu erleben, zum Teil auch in Diskussionsrunden. Am Freitag, Samstag und Sonntag, 26. bis 28. Oktober, beginnt das Programm jeweils gegen 13 Uhr und zieht sich bis in den späteren Abend. Festival-Ort ist zum ersten Mal die Whitebox (Atelierstraße 18) im Werksviertel direkt hinter dem Ostbahnhof. Weitere Informationen: www.schamrock.org. Ein Festival als „begehbare Skulptur":

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