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10 Jahre Schamrock-Salon der Dichterinnen____Monacensia | München 19. September 2019
Münchner Dichterinnen lesen Münchner Dichterinnen
Theresa Seraphin - Erika Mann

studierte Dramaturgie, Komparatistik und Kunstgeschichte an der Theaterakademie August Everding, der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Kyonggy Universität Seoul.

Sie schreibt v.a. fürs Theater und ist Mitgebründerin des Netzwerks Münchner Theatertexter*innen. Ihre Texte waren zuletzt zu sehen in der Theaterserie MÜNCHNER SCHICHTEN.

Seit 2018 arbeitet sie außerdem Dramaturgin an der ARGEkultur in Salzburg.

Tochter von Thomas Mann. Nach dem Abitur 1924 Schauspielstudium in Berlin, Abbruch wegen eines Engagements an den Reinhardt-Bühnen u. am Schauspielhaus Bremen. Weitere Engagements u.a. in München. 1927/28 Weltreise mit dem Bruder Klaus. 1933 Gründung des politischen Kabaretts "Die Pfeffermühle" zusammen mit Klaus Mann, Therese Giehse, Magnus Henning. Nach der Flucht aus Deutschland Gastspielreisen durch Europa. 1936 Emigration nach Amerika. Nach dem Kriegseintritt der USA Kriegsberichterstatterin, 1945/46 berichtete sie als einzige Frau von den Nürnberger Prozessen. Enge Zusammenarbeit mit dem Vater. Herausgeberin der Briefe von Thomas Mann, Biografin Thomas Manns, Initiatorin der Edition von Klaus Manns Werken. 1952 Übersiedlung mit den Eltern in die Schweiz. Erika Mann starb am 27. August 1969 in Zürich.
Ausführliches Autorenporträt im Literaturportal Bayern.

⇒ Erika Mann Nachlass in der Monacensia

Lied über die Kraft, die aus dem eigenen Schmerz entstehen kann

Und weil du nur einen Arm hast aber fünf Beine, kletterst du nachts die Wände hoch und
befestigst die Banner des Untergrunds an allen Kirchtürmen.

Wir nehmen unsere Depression in die Hand und schmeißen sie dir entgegen. Die Depression ist der größte aller Schwellkörper. Sie ist die angestaute Lust in sich gekehrt. Sie ist die Weihnachtsgans mit vergorenen Organen.

Und weil du zwar keinen Kopf hast, aber deine Lunge drei Flügel, treibst du die Rechten auf einen freien Platz und rufst dann die Hunde.

Sie bleibt hängen wie Honigmarmelade, wie Nektar, wie Zuckerwatte. Sie ist getränkt mit den schmutzigen Säften der Quengelware an der Supermarkt-Kasse und kommt jetzt zurück als geschleudertes Kaugummi, als bunter Spuckebatzen und infizierter Hustenanfall.

Und weil dein Arm einen Bart hat und deine Wirbelsäule Knoten trägt, weil du auglos und weitsichtig bist, stehst du aus dem Bett im Krieg.

Meine manischen Eiterkügelchen schmeiße ich als Wurfgeschosse um mich um dich und du bleibst nicht stehen. Du gehst in die Knie wegen mir und meiner Eiterblasen, die ich über Jahre trainiert habe. Die ich gezüchtet und gereizt, gebläht und gespickt habe.

 

Textauszug aus dem Theaterstück FREIZEIT 81
Premiere 25.1.2019 im Rahmen der Theaterserie MÜNCHNER SCHICHTEN

Die Dummheit

Ich bin die Dummheit, hört mein Lied
Und nehmt es nicht zu leicht.
Nichts gibt’s, soweit das Auge sieht,
das mir an Dummheit gleicht.
Der Schnee ist weiß, das Meer ist tief,
ich aber, ich bin dumm,
der Teufel, der mich einstens rief,
der wußte wohl warum.
Die Menschheit fürchtet den Verstand,
sprach Satanas zu mir.
Dich hat noch keiner recht erkannt,
mein liebstes Mordgetier.
Ja, um Gotteswillen, bin ich dumm!

Der Leute Hirn verklebe ich,
ich nag an der Substanz.
Von ihrem Stumpfsinn lebe ich,
es ist ein toller Tanz.
Besonders bin ich eingestellt,
auf Herren, die regier’n.
Und die auf dieser ganze Welt
Mich freudig akzeptier’n.
Die Herren tun alles, was ich will
In blut’ger Narretei.
Und ihre Völker halten still.
Denn ich bin stets dabei.
Ja, um Gotteswillen, bin ich dumm!

Am Ende steht der Untergang,
den ich herbeigeführt.
Passt auf, es dauert nicht mehr lang,
und dann ist es passiert.
Was sagt ihr? Nein?! Ihr kennt mich jetzt?
Ich selbst hätt es vollbracht?
Ich meidet und benennt mich jetzt?
Was hab ich bloß gemacht...?!
Wär’s möglich, daß... ? Pfui, die Vernunft!
Welch tödlich sanftes Licht.
Schon bin ich ohne Unterkunft,
weh, ich begreif es nicht...
Ja, um Gotteswillen, was ich dumm!

 

Zweites Exilprogramm; Uraufgeführt am 1.1.1934 in Zürich. Dargestellt von Therese Giehse.

Herrschaftskinder

Wir sind die feinen, reichen
Jungen Leute.
Wer kann sich denn mit uns
Vergleichen heute?

Wozu uns zieren?
Gute Manieren,
Die setzt ein jeder doch bei und voraus!
Wie wir uns flegeln,
nach allen Regeln,
Wir sind und bleiben aus dem Herrschaftshaus.

Papa sagt, die geschäfte gehen
Gar nicht so glänzend jetzt,
Ich möchte mal nen Vater sehn,
Der nicht so dämlich schwätzt.

So lang mein Alfa-Romeo
Noch Hundertachtzig acht,
so lang ist das noch nicht so,
das wäre doch gelacht.

Die Mama sagt, und sie hat recht,
das Volk verlangt zu viel,
und was Papa and Steuern blecht,
das ist kein Papenstiel.

Das Personal ist aufgehetzt,
was mich das intreressiert.
Ich habe für mein Tennis jetzt
Noch nicht genug trainiert.

Mit meiner Freundin mach ich Schluß,
die liest mir viel zu viel.
Das sagt, daß man was lernen muß,
wenn man was werden will.

Hast du was gelernt, hast du was gedacht?
Hast du was gelesen, hast du was gemacht?
Hast du was getan, hast du was geahnt?
Hast du was gefördert, und was angebahnt?

Glänzend, glänzend
Wie der Scherzen kann!
Hört euch doch den Ideen
Bitte an!
Wir sind die feinen, reichen
Jungen Leute.
Wer kann sich denn mit uns
Vergleichen heute.
Wie wir uns flegeln
Nach allen Regeln,
bei uns sieht alles schick und vornehm aus.
Wozu uns plagen?
Man kann doch sagen:
Die Kinder sind aus feinem, reichem Haus!

 

Zweites Exilprogramm; uraufgeführt am 1.1.1934 in Zürich. Dargestellt von Sibylle Schloss, Robert Trösch, Magnus Henning